Also gut, also gut! Damit Sie mir glauben, werde ich Ihnen die hinter der ersten Wand versteckte Methode erklären. Sie wird Sie wenig begeistern; am besten Sie hören gar nicht erst hin. Sie wissen doch sowieso schon alles – aber stets behaupten Sie, mir sei die zweite Wand lieber; als hätten Sie mich nicht ernst genommen, wo ich meine Resignation eingestand. Aber hier ist sie – sie, der Beweis!
EINE DISKUSSION IST EIN DIALOG.Fangen wir mit dem Realismus an, werte Dame. Sie könnten mich theoretisch widerlegen, aber es würde Ihnen nichts bringen, denn was ich sage, wird in vielen Fällen zutreffen. Ich sage Ihnen natürlich gleich, dass mir sehr wohl bewußt ist, dass es Ausnahmen gibt, aber wozu gebrauchten Sie dann das Wort Ausnahme? – Ja, natürlich, um auf die Regel zu verweisen.
Kommen wir zum Punkt: Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen sage, dass es keinen Sinn macht, Ihnen etwas zu sagen? … Ah, das finden Sie amüsant. Nun, ich behaupte, eine sinnvolle Diskussion im Internet ist – realistisch gesehen – in der Regel –
nicht möglich. Ja, ich weiß, es amüsiert Sie, so etwas aus meinem Munde zu hören, gnä’ Frau. Die Diskussion ist deshalb nicht möglich, weil sie eigentlich eine Handlungsabsicht voraussetzt. Wenn zwei Menschen gemeinsam handeln möchten, dann diskutieren sie vernünftig und sinnvoll. Einer Diskussion im Internet aber fehlt eine solche Absicht. Das ist fatal, denn um irgendwo hin zu gelangen, braucht es den Willen beider Diskutanten, eine eigentliche – also sinnvolle und vernünftige – Diskussion zu führen. Dieser spezielle Wille keimt in den meisten aber häufig nur dann, wenn er auf die Wahrheit gerichtet ist.
Wahr ist die Handlung. Extreme Skeptizisten könnten das natürlich bestreiten, aber für die meisten fängt mit der Praxis das Wahre an; ist es nicht so, milady?
ABER WIE SIE VIELLEICHT SCHON SEHEN, GIBT ES NOCH WEITERE WEGE.Doch diese Wege werden von sehr wenigen erschlossen. Genug mit der Plauderei, hier ist die Wand hinter der Wand:
A 1. Bedingung einer Diskussion sind intersubjektive Gemeinsamkeiten – Allein hieran scheitern die meisten Internet-Diskussionen. Die Begründung fällt übrigens sehr logisch aus, entspricht aber auch der Erfahrung. Wer bspw. eine Moral-Diskussion führt, braucht Prämissen, denen der Gegner zustimmen kann. Stimmt er keiner zu, bringen alle Konklusionen nichts. Die verbleibenden Optionen, ihn auf deine Seite zu bringen, sind Zwang und Überredung. Beide haben Nachteile: sobald sie verschwinden, verschwindet auch die Wirkung mit der Zeit.
Es gilt also, vorher zu eruieren, welche Vorurteile der Gegner haben könnte, die mit den eigenen überstimmen. Verblüffend und auf gewisse Weise schön zugleich erfordert der „Wortkampf“ also die
Identifizierung mit dem Gegner. (
A 2. Und doch beginnt jede Diskussion mit einer Meinungsverschiedenheit, also einer DIFFERENZ.) Ist das geschehen, fällt folgender Punkt auch leichter.
A 3. Bedingung einer Diskussion ist das angewandte Gleichheitsprinzip – Seien wir ehrlich: die eigene Meinung ist für uns meistens wichtiger und richtiger als die anderen. Das ist auch normal. Und es ist natürlich toll, wenn man im Wettstreit gewinnt. Aber bringt es etwas? – Der Preis ist gering – wenn überhaupt vorhanden. Es ist wichtig, sich bewußt zu machen, dass die eigene Meinung in Wirklichkeit nur eine „Wahrheit“ unter vielen ist. Und so können „intersubjektive Wahrheiten“ nur
gemeinsam entstehen. Der Gegner, obwohl er ein Gegner sein mag, ist auch ein „Kollege“ bei der Suche nach der Wahrheit. Es gilt also,
gemeinsam die Lösung zu suchen, aber eben mittels der Diskussion. Auch wenn es real selten der Fall sein mag (nicht jeder ist fähig, gut zu argumentieren), muss zumindest angenommen werden, dass beide Diskutanten „gleich“ sind. Keiner ist überlegen. Man kann es sich so vorstellen, als würde man mit seinem Klon diskutieren: Aus welchem Grund würde man ihn beleidigen? Warum sollte man hier unter allen Umständen Recht behalten wollen? Das würde wenig Sinn machen, auch wenn der Klon der eigenen Meinung widerspricht.
A 4. Bedingung einer Diskussion ist der Panrationalismus – Die einzige Diskussion, die Irrationale führen können, ist die über den Irrationalismus selbst. Ansonsten gilt: Behauptungen müssen
begründet werden. Die Begründungen wiederum stützen sich auf Überzeugungen. Gemeinsame Überzeugungen können zum Konsens führen. Wie die Überzeugungen zustande kommen, ist sicherlich von den Diskutanten abhängig. Letztlich kommen die meisten Überzeugungen aber aus der Empirie, der Erfahrung – auch auf Umwegen, z.B. von der Erfahrung, die Wissenschaftler gemacht haben, bis zum Buch, das diese veröffentlichen, welches schließlich bei Wikipedia zitiert wird.
Kleine theoretische Bemerkung: Die Empirie sagt etwas über die Vergangenheit aus, nicht über die Zukunft. Es gibt keine Gewissheit, dass etwas, das heute der Fall ist und gestern der Fall war, auch morgen der Fall sein wird. Wissenschaftliche Prognosen, Vorhersagen und Gesetze sind
wahrscheinlich und
keine Fakten. Außerdem verallgemeinert die Wissenschaft; da kommt das bekannte Beispiel vom weißen Schwan gelegen. Wenn die Menschen bislang nur weiße Schwäne gefunden haben, könnten sie behaupten: „Alle Schwäne sind weiß.“. Doch ist diese Aussage keineswegs ein Fakt, denn sobald der erste schwarze Schwan gesichtet wird, ist sie sofort nichtig. Dennoch sind Verallgemeinerungen wichtig – man sollte sich nur ihrer bewußt sein.
B 1. Die Diskussion als Handlung – Nicht nur im Ergebnis könnte gehandelt werden, der Diskurs selbst ist eine Handlung! So redundant sich das anhört, es ist sehr viel komplexer. Wir sind nun auf einer Meta-Ebene. Denn bevor wir ein Argument verwenden, bevor wir vielleicht sogar überhaupt anfangen zu diskutieren, sollten wir reflektieren, was unser Handeln – die Diskussion – bezweckt.
B 2. Der übliche Relativismus – Nicht jeder kennt den guten Diskurs; jeder kann diesen Bedingungen, auch irrational, widersprechen; nicht jeder ist schlecht, der irrational ist; etc.
